ELENA KAUFMANN

Porträt- und Dokumentarfotografie


DER WEIßE FADEN in der Klosterkirche Riddagshausen, Braunschweig, 2025

Michael Grisko, Borek Stiftung

Was war Ihre Motivation für diese Fotoreihe? Gab es ein besonderes Erlebnis?

Mich hat die Frage fasziniert, was uns als Menschen unterscheidet und was uns trotz aller Unterschiede verbindet. DER WEIßE FADEN steht dabei für das, was uns menschlich macht und uns zusammenhält. Mit der Portraitserie wollte ich dieses Verbindende sichtbar machen und den Fokus auf das Wesentliche legen: den Menschen selbst.

Sind Sie selbst religiös? Welche Bedeutung hat Religion in ihrem Leben?

Ich bin in der Sowjetunion aufgewachsen, einer Zeit, in der Religion aus dem öffentlichen Leben verdrängt wurde. Dennoch habe ich durch meine Großmutter den Glauben an Gott miterlebt. Dieser Glaube war für mich weniger an institutionelle Religion oder Rituale gebunden, sondern vielmehr eine persönliche Erfahrung. Religion ist für mich kein zentraler Bestandteil meines Lebens, aber die geistige Dimension, die damit verbunden ist, fließt stark in meine Arbeit und Privatleben ein.

Wie waren die Reaktionen auf ihre Anfragen bei den Porträtierten? Gab es Schwierigkeiten oder besondere Herausforderungen?

Die Reaktionen auf meine Anfragen waren sehr unterschiedlich und spiegelten die Vielfalt der Menschen wider, die ich für das Projekt gewinnen wollte. Der Prozess hat insgesamt etwa anderthalb Jahre gedauert und war von vielen Herausforderungen geprägt. Als ich gerade mit der Fotografie beginnen wollte, kam die Corona-Pandemie, die alles verzögerte und zusätzliche Schwierigkeiten mit sich brachte.

Der Gedanke, ein gemeinsames Kleid zu tragen, das alle Symbole und äußeren Hinweise auf Religion oder Herkunft weglässt, hat nicht jeden angesprochen. Viele Menschen identifizieren sich stark mit ihrer Religion und hatten Schwierigkeiten, diese Symbolik abzulegen. Einige wollten diesen Schritt nicht gehen, weil sie das Gefühl hatten, etwas von ihrer Identität zu verlieren.

Wie arrangieren Sie ihre Fotositzungen? Was ist ihnen wichtig?

Meine Fotositzungen sind weniger ein technischer Ablauf als vielmehr ein Energieprozess. Jeder Mensch bringt seine eigene Energie mit, und es ist meine Aufgabe, diese wahrzunehmen und darauf einzugehen. Oft sind die Menschen zunächst im Schutzmodus, wenn sie vor der Kamera stehen. Das ist ganz natürlich, denn der Prozess ist für viele sehr verwundbar. Wir spielen keine Rolle, wir stellen nichts dar – es geht darum, sich selbst zu zeigen, so wie man ist. Mir ist es wichtig, die Person in eine Stimmung zu bringen, in der sie sich selbst erlaubt, ihre Persönlichkeit zu zeigen – mit all ihren Wunden, Ängsten und ihrer Ehrlichkeit. Das ist ein sehr intimer Moment. Ein Porträt spiegelt den Zustand wider, den ich in genau diesem Moment erreichen konnte.

Diese Momente können Spannungen und Unsicherheiten mit sich bringen, sowohl bei den Porträtierten als auch bei mir als Fotografin. Es ist eine Herausforderung, diese Barrieren gemeinsam zu überwinden. Am Ende geht es darum, einen authentischen Moment einzufangen, der nicht perfekt sein muss, sondern echt. Denn diese Echtheit ist es, die berührt.

Gab es ein besonderes Erlebnis während der Fotositzungen, an dass Sie sich noch erinnern?

Ein Erlebnis, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war die Begegnung mit einer Person, die durch ihren Lebensstil unglaublich viel Raum einnahm – nicht nur physisch, sondern auch energetisch. Das hat mich aus meiner Komfortzone herausgeschoben und mich gezwungen, neue Ebenen der Neutralität zu suchen, um einen respektvollen Umgang zu gewährleisten.

Ich habe vorgeschlagen zusammen zu kochen und essen – und plötzlich war da diese wunderbare Atmosphäre. Die Unterschiede, die Weltanschauungen, alles trat in den Hintergrund. Auf menschlicher Ebene sind wir uns begegnet, und das hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Dieses Erlebnis hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass jeder sein Gleichgewicht bewahrt. Wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen, entsteht Raum für Vertrauen und echte Verbindungen.

Welche Haltung wünschen Sie von den Ausstellungsbesuchern? Ich wünsche mir von den Besuchern der Ausstellung eine Haltung des Dialogs und des Respekts. Es geht darum, das Anderssein nicht abzulehnen, sondern als eine Bereicherung zu sehen – ohne den Druck, dass eine Sichtweise „richtiger“ oder „besser“ ist als die andere. In der Ausstellung soll niemand seinen Standpunkt verteidigen müssen. Es geht vielmehr darum, sich zu öffnen und zuzuhören. Das weiße Kleid, das alle Frauen in den Porträts tragen, setzt bewusst Grenzen. Diese Grenzen symbolisieren, dass es einen Raum geben muss, in dem Respekt entsteht. Denn Respekt existiert dort, wo klar ist, dass Unterschiede anerkannt werden, ohne dass sie zu einem Druck führen: der Druck, sich verändern oder anpassen zu müssen, um akzeptiert zu werden.

Die Ausstellung wird nun erstmals in einem Kirchenraum gezeigt? Verändert das die Arbeiten noch einmal und wenn ja, in welcher Weise? Die Ausstellung wird erstmals in einem geschlossenen Raum gezeigt, und das verändert die Wirkung der Arbeiten deutlich. Bisher waren die Porträts im öffentlichen Raum zu sehen, wo sie in einem offenen Kontext mit allen Vorbeigehenden interagiert haben. Ein Kirchenraum gibt der Ausstellung eine andere Dimension, weil die Religion durch den Raum und das Institut mehr in den Fokus rückt. Gleichzeitig sehe ich darin eine wunderbare Geste von Offenheit und Respekt seitens der Kirche, diesen Raum für ein Projekt zu öffnen, das so viele verschiedene Glaubensrichtungen und Weltanschauungen miteinander verbindet. Es sendet ein wichtiges Signal, dass auch Institutionen den Dialog suchen und Vielfalt willkommen heißen.

Ich würde mir wünschen, dass die Ausstellung irgendwann auch in einer Moschee gezeigt wird – oder in Räumen anderer Glaubensrichtungen. Solche Orte haben das Potenzial, eine Kettenreaktion auszulösen, die andere Institutionen inspiriert, sich ebenfalls mit Offenheit und Neugier an solchen Projekten zu beteiligen. Es wäre schön, wenn diese Ausstellung zu einem Beispiel dafür werden könnte, wie wir aufeinander zugehen können, unabhängig von unseren Symbolen und Traditionen.


DER WEIßE FADEN auf dem Platz der Festung Ehrenbreitstein, Koblenz, 2023

Matthias Thüsing, Evangelische Zeitung

Ein Ratespiel um Identität und Glauben

Großformatige Portraits von 20 Frauen hängen in einem überdimensionalen Kokon. Alle tragen das gleiche helle Gewand, keinen Schmuck, nichts lenkt ab, allein Konzentration. Es ist die Religion, die die Frauen unterscheidet. Das wird deutlich anhand der Texte, die abseits im Pavillon Auskunft zu den Frauen und ihrem Glauben und also zu ihrem Leben geben. Es gibt keine Zuordnung von Text und Bild. Der Betrachter wird allein gelassen. Er kann nur ahnen. Er kann sich sein Bild. machen und wird sich oft genug erkennen in den Ängsten, den Anfeindungen der Frauen. Und er wird etwas von der Kraft ihres Glaubens spüren.

"Der weiße Faden" ist der Name des Kunstprojekts der Fotografin Elena Kaufmann und der Journalistin Antje-Maria Lochthofen, das erstmals für einige Monate im Jahr 2021 Neugierige anlockte - und einlud, den Kokon zu betreten, der wie ein Ufo auf dem auf dem Platz vor dem Erfurter Hauptbahnhof gelandet schien. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kaufmann in ganz Deutschland 20 Frauen der unterschiedlichsten Glaubensvorstellungen gefunden. In Erfurt begannen dann die Arbeiten. Jede Einzelne fotografierte Elena Kaufmann unter exakt identischen Bedingungen, und am Ende hat sie auch noch am Ausstellungs-Kokon mitgebaut, in dem sie die Porträts zeigte.

Es geht ihr um Toleranz. Es geht ihr darum, den unvoreingenommenen Blick erneut zu erlernen. "Ich bin Ausländerin, habe in St. Petersburg studiert, aber man sieht es mir nicht an. Doch sobald ich den Mund aufmache, hört man den Akzent. Dann kommt sofort die Frage, woher ich komme." Nicht mehr die Person, sondern die Herkunft stehe dann im Mittelpunkt des Interesses. "Und natürlich sind Menschen, die anders aussehen und eine andere Religion leben, noch viel öfter mit solchen Frage konfrontiert." An der Muslimin etwa werde in solchen Momenten nur noch das Kopftuch gesehen. "Oft bleiben wir bei der Wahrnehmung unseres Gegenübers auf der Oberfläche, kleben nur ein Etikett auf diesen Menschen", sagt sie. Ihre Fotos dagegen zeigen die Frauen. Manche lächeln, andere schauen ernst in die Kamera. Es sind stille Aufnahmen. Keiner Frau ist ihre Religion anzusehen.

Über ihre Biografie und ihre Religiosität erzählen die sehr persönlichen Texte von Antje-Maria Lochthofen. Es sind Texte etwa über Zurückweisungen einer Pfarrerstochter durch vermeintliche Freunde in DDR-Zeiten oder eine Frau, die im Daoismus ein entschleunigtes, besseres Leben lernt. Buddhistinnen, Sunnitinnen, eine Atheistin, kommen zu Wort. Aber die Texte stehen für sich. Der Betrachter mache sich sein Bild.

Alle Versuche, die Texte den Personen zuzuordnen, würden irgendwann in er Erkenntnis eingestellt, dass dies schwerlich möglich sei, sagt Lochthofen. Erfahrungen, Glauben und Geschichte seien einem Menschen nicht anzusehen. Aber wenn man seine Geschichte kennt, ist Gemeinschaft zu spüren.
„Und vielleicht ist es ja interessant, das Projekt kommt ausgerechnet aus dem - wie es heißt - säkularen Osten. . .", sagt sie. "Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz machen Menschen kaputt. Unser Projekt will etwas dagegen tun. Wer sich Zeit nimmt wird stauen, wie ähnlich, wie nah wir uns sind. Es ein Angebot sich auf den Menschen einzulassen.“

Es ist ein Angebot, das nun nach Koblenz umzieht. Ob das Publikum in den alten Ländern anders reagiert als die Erfurter und ihre Reisenden auf dem Bahnhofsvorplatz, sei eine spannende Frage, sagt Elena Kaufmann. Das Projekt in Erfurt sei vor zwei Jahren sehr positiv aufgenommen worden. Vor allen von den jugendlichen Besuchern. "Das sind die ehrlichsten Kritiker", sagt die Künstlerin. Begeisterung und Ablehnung würden von Teenagern unverstellt gezeigt.

Die Gegend um den Erfurter Hauptbahnhof gilt als sozial schwierig. Doch der Kokon, Tag und Nacht für jeden zugänglich, blieb die meiste Zeit unbewacht. Gelobt wurde vor allem auch die friedliche Stille im Inneren des großen Weißen Raums. Und nur eine einzige Beschädigung an dem Kunstwerk gab es in Erfurt. "Jemand hat ein Stückchen Stoff aus dem Pavillon herausgeschnitten. Wie bei Christos verpacktem Reichstag." sagte Elena Kaufmann. "Das hat mich ein bisschen stolz gemacht."


DER WEIßE FADEN auf dem Bahnhofvorplatz Erfurt, 2021

MDR Thüringen